Blog

Der Corona-Kompass

 

Als Trend- und Zukunftsforscherin kennt Barbara Busse, Vorstandsmitglied im MK NRW, die positiven und negativen Szenarien nach der Corona-Pandemie.

Für Unternehmen und Arbeitnehmer_innen bietet die Krise angesichts veränderter Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsstrukturen auch Chancen

Corona hat unseren Alltag und unser Arbeitsleben schon heute für immer verändert. Auch jenseits der akuten Interventionsmaßnahmen wird Corona die Wirtschaft, unser Denken und Fühlen und das technologische Umfeld neu geprägt haben.

 

Schon vor Corona befanden wir uns in einer exponentiellen technischen Evolution, die dramatische Auswirkungen auf etablierte Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten hatte. Auch Verhalten und Wünsche der kommenden Konsumentengeneration stellten bereits einen nie da gewesenen Bruch zur Erfahrungswelt der aktuellen Wirtschaftslenker_innen dar. Das gleiche gilt für disruptive, digitale Geschäftsmodelle, die im letzten Jahrzehnt die reichsten Menschen der Welt hervor- und Giganten der Old Economy zu Fall gebracht haben.

 

Vor dieser Kulisse der exponentiellen Disruption auf allen Ebenen war auch schon im Mai 2019  jede geistige Dehnübung Richtung digitaler Transformation überlebenswichtig.
Sowohl für Unternehmen als auch für die Politik. Ein perfekter Zeitpunkt also, sich mit der Zukunft zu beschäftigen.

Zwar ist es als Trend- und Zukunftsforscherin tägliche Routine, in naheliegenden und abwegigen Szenarien zu denken. Aber: ein weltweiter Virus, der Wirtschaft und öffentliches Leben über Monate oder Jahre zum Erliegen bringt, gehörte bislang zu den fortgeschritten abwegigen Szenarien, auf die sich auch ganz innovationswillige Manager_innen in Unterthemen nur widerspenstig in Workshops einlassen würden.

Nun sind wir mittendrin im abwegigen Szenario, das die gesamte Weltbevölkerung betrifft und auf das sich keiner vorbereitet hat.

Wir sind Zeitzeuge einer drakonischen Krise, in der es Gewinner_innen und Verlierer_innen gibt. In der flexibles Handeln und bewusste Umkehr notwendig sind, um die Dinge wieder zu ordnen und unseren neuen Platz zu finden. Wir sehen schon jetzt wie sich in unserem Umfeld Kollapse und Erfolgsstories die Klinke in die Hand geben. Die einen stehen vor dem Nichts, die anderen machen den Umsatz Ihres Lebens oder erfinden sich neu.

 

Wie Peter F. Drucker (1909-2005, Ökonom und Pionierdenker des modernen Managements) es zusammenfasst: “The greatest danger in times of turbulence is not turbulence itself, but to act with yesterday’s logic.” Stellen wir uns also auf eine neue Zeit mit einer eigenen Logik. Aber was ist die Prognose für die neue Post-Corona-Zukunft?

 

In unseren Sekundärquellen und Studien reihen sich endlose Hiobsbotschaften und Zahlenrekorde aneinander an. Drei- und vierstellige Prozentzuwächse für Produkte, Branchen, Gefühle. Dies sind alles Puzzlestücke einer neuen Welt.

Nach der Delphi Methodik ist der Abgleich von Expert_innenmeinungen eine valide Basis für Prognosen. Neben mir als Trendforscherin gibt es auch andere bekannte Kolleginnen, die sich zu dem Thema Corona ausführlich geäußert haben. Hinter allen steht ein Team von ResearcherInnen, die sich aus Studien und Interviews kleine Welten bauen.

Die bekanntesten Trendforscher Matthias Horx und Li Edelkoort sehen durchaus eine positive Veränderung der Gesellschaft.

Wie Matthias Horx beobachtet, entdecken Menschen neue “Distanzierungstechniken”, die zu einer anderen und besseren Art der Kommunikation und Interaktion führen. Man telefoniert wieder miteinander, meldet sich bei alten Freunden und sucht viele neue Wege trotz “social distancing” in Kontakt zu bleiben.

Der Erfolg der Videokonferenz-Plattform Zoom verdeutlicht dies: Während im Dezember die Anzahl der täglichen User noch bei 10 Millionen lag, hat Zoom mittlerweile einen Zuwachs von 300 Millionen Nutzer erfahren. Zoom ist somit “das soziale Medium der Coronakrise” geworden.

 

Nach der Ansicht der niederländischen Trendforscherin Li Edelkoort lehrt uns die aufgezwungene “Konsumquarantäne” auch zukünftig genügsamer und achtsamer zu sein. Dabei „…lernt der Mensch alte Denksysteme infrage zu stellen und plötzlich erscheint jedes Angebot im Internet bizarr und übertrieben; beinahe übergriffig und lächerlich. (…) Wir sind jetzt gezwungen, all die Systeme, die wir seit unserer Geburt kennen, zu überdenken – und uns zu fragen, wie unsere Welt ohne sie aussehen würde." Damit wächst zeitgleich eine neue Lebensqualität.

Wir achten auf uns. Die Bedeutung von Self-Care im Alltag nimmt zu.

Google verzeichnet einen Anstieg von +734 Prozent für den Begriff Wellbeing. Die Wirtschaft erwartet in diesem Sektor einen Zuwachs von +93 Milliarden Dollar für Produkte für Körperpflege-Rituale.

Horx und Edelkoort sehen eine positive Veränderung mit einer positiven inneren Transformation der Gesellschaft, in der wir unser Handeln und unsere Entscheidungen kritisch reflektieren und merken, wie getrieben und wenig nachhaltig wir bisher unseren Alltag und Umfeld gesteuert haben. Sie sehen Corona als Chance.

Welche positiven Verschiebungen ergeben sich für deutsche Unternehmen?

Der Ausbau von 5G wird vermutlich schneller vorangetrieben. Die neue Toleranz gegenüber halb anonymisierten Daten führt zur schnellen Verbesserung zahlreicher Services und Produkte. Die dezentrale Produktion wird stark vorangetrieben, ebenso wie das Near-Shoring und die Unabhängigkeit von China. Made in Germany und lokale Produktion wird zur krisensicheren Einkaufsstrategie und Gegenbewegung zu aktuellen Seidenstraßen-Projekten. Der Einsatz von autonomen Fahrzeugen für Transport und Logistik wird stärker verfolgt.

 

Wer vor die Tür tritt, merkt selbst, dass das urbane Leben sich verändert hat. Fahrradwege werden auf Europas Straßen ausgebaut. Der eingeschränkte Straßenverkehr bewirkt nicht nur das Sinken der Ölpreise, sondern wirkt sich auf die weltweite Luftqualität positiv aus. Zeitgleich mit dem globalen Lockdown sinkt der Flugverkehr auf 10 Prozent. Aus Mangel an Alternativen planen Menschen ihren Urlaub zuhause oder im eigenen Land, was sich nachhaltig auf die Wahrnehmung von Deutschland als neues Reiseziel auswirken wird. Der Ausbau des eigenen Gartens (78 Prozent Anstieg der Internetsuche über Gartenarbeit); das Verschönern der eigenen vier Wände und der Ausbau des Arbeitszimmers für Homeoffice (+24 Prozent) manifestieren das Zuhause als neuen Mittelpunkt. Geschäftsreisen werden durch technische Medien ersetzt, Teams arbeiten dezentral zusammen.

Arbeitnehmer_innen möchten auch nach Corona flexibler arbeiten und das neu installierte Home-Office weiterhin nutzen

83 Prozent der Arbeitnehmer würden sich freuen, wenn sie dauerhaft von zuhause aus arbeiten dürften. Stadtwerke verzeichnen aktuell ein späteres Aufstehen von 60 Minuten. Leben ohne Rush-Hour. 10 Stunden mehr Zeit jede Woche für Arbeitnehmer_innen.

Der bewusste Konsumverzicht und das technische Upgrade der Arbeitswelt hat kurzfristig eine erfreuliche Bilanz für uns selber geschaffen, die deutsche Wirtschaft befindet sich jedoch seit März in der Rezession. Nach Wirtschaftsminister Altmaier wirkt sich “die wegbrechende globale Nachfrage, die Unterbrechung von Lieferketten, Verhaltensänderungen der Verbraucher und eine Verunsicherung von Investoren” massiv auf Deutschland aus. Auch die Arbeitslosenquote wird trotz Kurzarbeit steigen.

 

Neben den  optimistischen Zukunftsbildern  von Horx und Edelkoort sehen die technologiegetriebenen Szenariomacher wie das Zukunftsinstitut oder Sven Gábor Jánszky mehrere mögliche, auch pessimistische Ergebnisse. Ihre Prognosen bieten Zukunftsbilder an, die  sich zwar ebenfalls mit Optimismus und Verbundenheit beschäftigen, zusätzlich aber auch eine pessimistische und abgespaltene Gesellschaft aufzeigen. Ein harter Schnitt zwischen Alt und Jung. Hohe Arbeitslosigkeit. Die daraus hervorgehenden neuen „Corona-Verlierer“ werden, ebenso wie die Wendeverlierer_innen der 90er Jahre, eine zunehmende Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft  befeuern.  Für die Politik ergeben sich dadurch neue soziale Herausforderungen

Fazit

Die Mehrheit der Expert_innen beziehen sich auf positive Verhaltensänderungen, in der bewusster Verzicht des Konsums, die Verbesserung und Beschleunigung von unausgereiften Technologien und die Rückkehr auf wesentliche Lebens- und Verhaltensformen die Lösung ist.

Die aufgezwungene Überwindung der technischen Hürden führte zu einer sprunghaften Adaption und Marktdurchdringung neuer Technologien und Services für Kommunikation und Arbeit und damit mehr Teilhabe für ländliche Regionen. Diese sonst Jahre dauernden Prozesse haben sich in nur wenigen Wochen zur neuen Normalität etabliert und uns auch als Bürger_innen und Arbeitnehmer_innen auf eine neue, kollaborative Ebene gebracht, von der wir auch nach Corona als Gesellschaft profitieren werden.

Autorin

Barbara Busse ist Design Thinking Expertin und Zukunftsforscherin und Geschäftsführerin der Future+You GmbH & Co.KG www.futureandyou.de

Sie ist Mitglied im Vorstand des Managerkreis NRW

Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Autor_innen in eigener Verantwortung vorgenommen worden un geben ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder.